27.10.2021

Tuuliniitty in Espoo ist fertiggestellt – momentan das weltweit höchste Wohngebäude in Raumzellenbauweise

„HOAS Tuuliniitty“ (Windweide) ist momentan das weltweit höchste Wohngebäude, das in Raumzellenbauweise erstellt wurde. Das Projekt wurde im Rahmen eines Architekturwettbewerbs für ein Wohnviertel in Holzbauweise entworfen, das 2013 von der finnischen Wohnungsbaugesellschaft Asuntosäätiö, dem Holzindustriekonzern Metsä Group und der Stadt Espoo gemeinsam ausgelobt worden war. Aus dem Teilwettbewerb für zwei Wohnblöcke ging das Architekturbüro Jukka Turtiainen OY mit seinem Vorschlag „Tiebreak“ als Sieger hervor.

Text: Puuinfo | Fotos: Miika Ullakko und HOAS | Übersetzung: Leonhard Pirson

Lesen Sie das Artikel auf Finnisch: Hoas TuuliniittyMaailman korkein puumoduulikerrostalo valmistui Espooseen

Als erstes Gebäude in der Straße Tuuliniitty in Tapiola wurde im Frühjahr 2020 das fünfgeschossige Mehrfamilienhaus „Windweide 3“ fertig: vier Holzgeschosse auf einem Sockelgeschoss aus Beton. 2021 wurde direkt daneben das Holzhochhaus „Windweide 1“ (Tuuliniitty 1) bezugsfertig. Beide Wohnblöcke liegen im Zentrum von Espoos-Gartenstadt Tapiola und nur etwa 100 m von der U-Bahn-Station Tapiola entfernt. Neben der Holzbauweise ist für Espoo eine weitere Sache außergewöhnlich, und zwar dass beide Objekte so gut wie keine Parkplätze bieten. Der Bebauungsplan sah nur einige wenige Parkplätze für Menschen mit Einschränkungen und für Gäste vor. Für die architektonische Gestaltung des Projekts Windweide 1 waren die beiden Architekten Tuomas Saarinen und Jukka Turtiainen zuständig. Turtiainen hat beide Holz-Mehrgeschosser an der Windweide maßgeblich geplant.

Der 13-stöckige Holzbau „Windweide 1“ bietet insgesamt 165 staatlich geförderte Mietwohnungen für Studenten. Bei 154 handelt es sich um Einzimmer-Appartements, elf weitere sind Zweizimmerwohnungen. Alle sind komfortabel und modern eingerichtet: Die Böden sind mit Vinylboden mit Holzdielenmuster ausgelegt, die Wände und Küchenschränke haben weiße Oberflächen erhalten und die Bäder sind schwarz und weiß gefliest. Die Sichtholzflächen der Zimmerdecken weisen auf den Hauptbaustoff des Gebäudetragwerks hin: Holz.

Im Erdgeschoss von Windweide 1 sind Fahrradabstellräume, eine Waschküche mit kostenloser Nutzung der Waschmaschinen und Trockner und ein Aufenthaltsraum untergebracht. Hier können die Bewohner z.B. lernen, während sie auf Ihre Wäsche warten. Auf dem Dach der 12. Etage stehen den Hausbewohnern eine Sauna und ein Clubraum zur Verfügung. Im Erdgeschoss befindet sich auch eine Station für den Hausmüll.

Die Raumzellen wurden fast vollständig im Werk im ostfinnischen Kuhmo vorgefertigt. Bei ihrer Ankunft in Tapiola waren sie bereits mit Bodenbelägen, Einbaumöbeln und sogar mit Küchengeräten ausgestattet. Die in Tapiola aufgestapelten Module bilden momentan das zweithöchste Holz-Wohngebäude Finnlands und das weltweit höchste Wohngebäude aus Brettsperrholz-Raumzellen.

Windweide wurde speziell an die Bedürfnisse einer kommenden Studentengeneration angepasst, der „Generation Z“. Bei der Planung wurde auf ökologisch unbedenkliche Baustoffe, auf Nahversorgung in erreichbarer Nähe und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr geachtet. Außerdem wurden überwiegend nachgefragte Einzimmer-Appartements geplant. Der Generation Z kommt es besonders auf Umweltfreundlichkeit und praktische Lösungen an. Windweide 1 ist ein schönes Beispiel für ein Gebäude, bei dem die Wünsche und Werte junger Menschen berücksichtigt wurden.

Die Planer bemühten sich auch um eine Würdigung der bereits in den 1950er Jahren für Tapiola formulierten Ziele bezüglich der Qualität von Architektur und des Bauens. Bei beiden Holzbauten lassen sich Parallelen finden zu den Tapiola-Wohnblöcken aus den 1950er und 1960er Jahren, zum Beispiel bei den Proportionen der Außenfassaden und der Fassadenöffnungen. Die bei Tapiolas höheren Gebäuden durchaus übliche – ungewöhnliche Dachform wurde bereits im Rahmen der Ausschreibung des Architekturwettbewerbs in den Bebauungsplan übernommen.

Technische Lösungen

Das Tragwerk von Windweide 1 besteht aus CLT-Raumzellen. Die Kombination von atypischer Dachform und mehrgeschossiger Holzmodulbauweise am Standort in der Windweide erwies sich als besondere Herausforderung. Wegen des windanfälligen hutförmigen Daches waren Lösungen erforderlich, um die auftretenden Windlasten beherrschbar zu machen. Das war Aufgabe der Firma A-Insinöörit, deren Abteilungsleiter Esa Suomalainen den Planungsprozess des Projekts rückblickend als langwierig und anspruchsvoll beschreibt.

Der Bau steht auf einer starken Bodenplatte aus Ortbeton. Die Aussteifung des Rohbaus erfolgte mit möglichst starren Holz-auf- Holz-Verbindungen. Um Schwingungen entgegenzuwirken und den Baukörper auszusteifen, wurden die Module starr miteinander verbunden, was sich vom herkömmlichen Bauen mit Raumzellen deutlich unterscheidet. Die Verbindungstypen wurden speziell für das Hochhaus Windweide 1 entwickelt, die Metallbeschläge in einer Schlosserei maßgefertigt. Dämpfer gegen Erschütterungen konnten nicht eingesetzt werden, deswegen musste der Schallschutz im Inneren des Gebäudes zwischen den Raumzellen erfolgen.

Ehe die Produktion in Kuhmo anlief, wurde das Tragwerk zunächst noch anhand eines Mockups mit vier Musterwohnungen getestet. Hier wurden umfangreiche Schallmessungen vorgenommen, um die Funktion des Tragwerks zu überprüfen. Die Maßnahmen zur Schalldämmung der Zwischendecken und der Wohnungstrennwände wurden rechnerisch von Mikko Kylliäinen ermittelt, der bei A-Insinöörit für diesen Aufgabenbereich zuständig ist. Eine Herausforderung stellte auch die Planung der Feuersicherheit dar, für die Esko Mikkola von der Firma KK-Palokonsultti zuständig war. Weil Windweide 1,5 mal so hoch wie ein tabellarisch erfasstes Gebäude ist, wurde eine Bauteilbemessung im Einzelfall erforderlich. Hierbei wurde besonders auf hohe Gebäudestandsicherheit im Brandfall, die Beherrschbarkeit eines Fassadenbrandes und die Sicherheit der Bewohner geachtet.

Die Feuersicherheit (Stufe P1) wurde durch Einbau einer automatischen Feuerlöschanlage (Sprinkler), die Verwendung größerer Bauteilquerschnitte (R120) für die tragende Konstruktion und eine Bauteilkapselung hergestellt. Für das Erdgeschoss wurde eine Außenfassade aus nicht brennbarem Material gewählt.

Bauvorhaben

Das Bauvorhaben erfolgreich zum Abschluss zu bringen erforderte von allen Projektpartnern viel Entschlossenheit und Kooperationsfähigkeit. Die Bauherrin, das Studentenwerk HOAS, hatte Windweide 1 ursprünglich mit Großelementen aus CLT und LVL ausgeschrieben. Eine erste Baugenehmigung dafür wurde im Herbst 2018 erteilt, aber die eingehenden Kostenvoranschläge überstiegen das geplante Budget. Für die Planung bedeutete dies einen Neustart bei Null.

Im Frühjahr 2019 wurde ein neues Planungsbüro beauftragt und die Möglichkeit des Einsatzes von Raumzellen aus Brettsperrholz geprüft. Anbieter derartiger Systeme wurden zur Entwicklung eines gemeinsamen Projekts eingeladen. HOAS-Projektleiterin Anneli Keränen veranlasste kurzfristig drastische, aber innovative Planänderungen, während die Zulieferer nach kostengünstigeren und gleichzeitig praktikablen Lösungen suchten.

Als Generalunternehmen wurde JVR-Rakennus OY aus Oulu beauftragt. Die Raumzellen wurden bei Elementti Sampo in Kuhmo bestellt. Nach Genehmigung der geänderten Pläne konnte im Februar 2020 mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die Produktion der Raumzellen in Kuhmo lief bereits Ende 2019 an, von Mai bis Oktober wurden sie auf der Baustelle in Espoo installiert.

Seitens der Bauherrin war man über die reibungslose Logistik überrascht. Überrascht war auch das Bauunternehmen, und zwar von den speziellen Herausforderungen einer Hochhausbaustelle. Windweide 1 war für JVR Rakennus das bis dato anspruchsvollste Projekt in Bezug auf Maßtoleranzen und Arbeitsorganisation, musste Geschäftsführer Arttu Suuronen eingestehen. Im Eiltempo wurde die Koordination aller Gewerke auf der Baustelle vorgenommen.

– Wenn es über zehn Geschosse hinausgeht, sinkt das Tempo des Arbeitsforstschritts deutlich, berichtet Suuronen.

–  Die Abläufe mussten geändert werden. Auch wenn es unter finanziellen Aspekten nicht optimal gelaufen sei, die Bereitschaft zu weiteren derartigen Projekten sei da, hohe Gebäude für JVR durchaus interessant.

Im Mai 2021 wurde der Abschluss dieses außergewöhnlichen Gemeinschaftsprojekts gefeiert. Das Studentenwerk HOAS als Auftraggeber lobte Einsatz und Zusammenspiel der Projektbeteiligten, die sich gegenseitig unterstützt und an einem Strang gezogen hätten. Der Lernprozess, hohe Holzhäuser zu bauen, habe alle Beteiligten inspiriert, Folgeprojekte würden sicherlich einfacher werden. HOAS plant zwei weitere Mehrgeschosser in Holzbauweise, und zwar in Espoo (Niittykumpu) und in Helsinki (Kuninkaantammi).

Das ursprüngliche Artikel wurde im Oktober 2021 im Holz-Magazin 2/2021 veröffentlicht.